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Die Geschichte der lippischen Ziegler

Die Spezialisierung der lippischen Wanderziegler entstand aus der "Hollandgängerei", also aus der Arbeitsmigration nach Holland und Friesland zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die früheste Erwähnung von lippischen Zieglern lässt sich im Jahr 1657 für den Ort Weener (Ostfriesland) nachweisen. Die Regierung hat lange versucht, diese Form der Wanderarbeit zu verhindern; schließlich musste sie sie jedoch akzeptieren, weil sie sich zu einer wichtigen Verdienstquelle für die Einwohner entwickelte, die mit dem Lohn Steuern und Pachten bezahlen konnten. Zudem entlastete die Wanderarbeit die Armenkassen. 1776 wurden die Hollandgänger erstmals offiziell gezählt und seit 1778 Pässe ausgefertigt. Hinzu trat die Forderung der Regierung an die Boten, jährlich eine Liste der von ihnen vermittelten Personen aufzustellen. Die administrativen Vorgaben von 1778 blieben im Wesentlichen bis 1869 in Kraft. Die Zahl der lippischen Ziegler wuchs von 288 Männern im Jahr 1790 auf 7.786 im Jahr 1860. In den 1880er und 1890er Jahren gab es 12.000 lippische Ziegler, das Maximum von etwa 14.000 wurde um 1900 erreicht. Nach dem Ersten Weltkrieg sank die Zahl stark ab auf etwa 5.000.
Vom 17. bis weit in das 19. Jahrhundert waren die lippischen Ziegler in der Regel in Ziegeleien beschäftigt, deren Produktionskapazität für die Beschäftigung einer oder mehrerer lippischer Zieglergruppen ausreichte. In den Ziegeleien an der nordöstlichen niederländischen und deutschen Nordseeküste sowie in großen Betrieben in Schleswig-Holstein und Jütland blieben die Ziegler deshalb unter sich. In anderen Gebieten (Norwegen, Schweden, Polen, West-Russland, Österreich-Ungarn, ebenso in Westfalen) arbeiteten die Lipper stets in Konkurrenz mit anderen Arbeitswanderern.

Während einer Saison war eine lippische Gruppe, bestehend aus durchschnittlich nur fünf bis acht Männern, verantwortlich für den gesamten Produktionsprozess, vom Mischen des Tons bis zum Brennen der Ziegel und ihrer Vorbereitung für den Versand. Die lippischen Ziegler arbeiteten im Gruppenakkord, wobei sie gemäß der Absprache über die Entlohnung einen festen Betrag für tausend gut gebackene Ziegel erhielten. Entscheidend für die Produktivität einer Zieglergruppe war die Qualität der Zusammenarbeit aller Mitglieder. Vom Endlohn wurden die Kosten für das gemeinsame Mittagessen und den Kaffee (die „Kommunerechnung“ - daher die Bezeichnung der Gruppe als „Lipper Kommune“) sowie die etwaigen Vorschüsse abgezogen. Der Brandmeister verteilte anschließend die Summe an die Mitglieder der Gruppe entsprechend ihren Funktionen. Je besser sie zusammenarbeiteten, desto höher fiel der Verdienst der gesamten Gruppe und dementsprechend auch der des einzelnen Zieglers aus. Daher probierte jede Gruppe während der Winterpause, die schwächsten Mitglieder aus der Gruppe auszuschließen und als Ersatz bessere Arbeitskräfte zu gewinnen. Aus Sicht des einzelnen Zieglers kam es umgekehrt darauf an, sich einer möglichst gut arbeitenden Gruppe anzuschließen. Mit Ausnahme der Brandmeister war, wie sich den Quellen entnehmen lässt, eine ziemlich großer Fluktuation in den Gruppen die Folge. Das lippische System der Wanderziegler war also geprägt sowohl durch die Zusammenarbeit als auch durch ein individuelles Karrierestreben. Im Rahmen des staatlichen kontrollierten Vermittlungssystems konnten viele besitzlose lippische Untertanen sich auf diese Weise ein schwer errungenes, aber ziemlich gutes Einkommen verschaffen. Am Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden diese besonderen Arbeitsverhältnisse allmählich, nachdem der technische Fortschritt die Saisonabhängigkeit verringert, die Mechanisierung zu einer Vergrößerung der Betriebe geführt hatte und der Gruppenakkord vom individuellen Zeitlohn abgelöst worden war.

Karte Zielgebiete der lippischen Ziegler: Größte Ausdehnung 1839-1869. 1-25: weiteste Ausdehnung des Zielgebiets 1840-1869. Aus Lourens/Lucassen 1999, p.105